Die Corona-Krise zeigt es deutlich: Die Pflege ist systemrelevant. Die Mitarbeitenden in den Pflegeeinrichtungen wussten dies schon immer und freuen sich über die öffentlichen Statements. Aber wie ist die Realität? Was kommt wirklich an?
Wertigkeit der Pflege:
- Die Pflege ist seit Jahren unterfinanziert - das ist bekannt und ändert sich kaum.
- Die Personalschlüssel sind seit Jahren unzureichend - das wurde in mehreren Gutachten ohne Konsequenzen bestätigt.
- Die Ausstattung mit Hygiene- und Schutzmaterial ist nicht ausreichend - das wird in der jetzigen Krise überdeutlich.
- Zur Unterbrechung der Infektionsketten in den Pflegeeinrichtungen müsste das Personal regelmäßig getestet werden - diese RKI- Empfehlung verhallt.
Und was tut die Politik? Sie verspricht bis zu 1.500 € einmalige Prämie für eine Vollzeitkraft in der Pflege. Die Einrichtungen sollen vermutlich einen Teil dazu selbst aufbringen. Gleichzeitig wird über eine Pandemieprämie für Autos von bis zu 4.000 € diskutiert. Sind die Autos so viel mehr wert als Pflege?
Sie lässt den Profifußball wieder zu, da nach dem Hygienekonzept ca. alle drei Tage eine Testung der Fußballer und Mitarbeitenden durchgeführt wird. Ein entsprechendes Hygienekonzept ist für Pflegeeinrichtungen nicht vorgesehen. Ist Fußball so viel mehr wert als Pflege?
Die Diskussion über verbesserte Personalschlüssel stockt. Auch von der angekündigten Pflegereform hört man nichts mehr. Stattdessen wird bereits kolportiert, nach der Krise erst mal Kassensturz machen zu müssen. Der Mangel soll weiterbestehen, die Situation sich nur wenig ändern - dauerhafte Kostensteigerungen durch mehr Personal sind nicht erwünscht.
Auch die Krankenkassen nutzen die Krise: Verhandlungen über Pflegeentgelte finden kaum noch statt, vereinbarte Termine mit Pflegeeinrichtungen gecancelt, zugesagte Vorschläge zu Vertragsänderungen nicht erstellt. Dabei könnten sich die Krankenkassen auch Corona-gerecht im Homeoffice abstimmen oder in Videokonferenzen mit den Einrichtungen verhandeln. Stattdessen wird die Corona-Krise genutzt, keine Veränderungen herbeizuführen. In NRW z. B. warten die Träger der Freien Wohlfahrtspflege seit Jahren vergeblich auf den inzwischen gesetzlichen Anspruch auf Tarifanerkennung bei der Preisfindung. Aber statt einer Umsetzung kommt bei den Einrichtungen nichts an.
Der Eindruck verfestigt sich: Die Pflege soll weiter mit Almosen ruhiggestellt werden. Den wohlklingenden Worten folgen kaum Taten, die an den grundsätzlichen Problemen etwas ändern. Deshalb fordern wir:
1. Sofortige Verbesserung der Personalausstattung in den Pflegeeinrichtungen
2. Übernahme aller Kosten für diese Personalsteigerungen
3. Sofortige Anerkennung aller Tarife bei der Preisfindung durch die Krankenkassen
4. Angleichung der Pandemieprämien für Pflege und Autos
5. Übernahme des Hygienekonzepts des Profi-Fußballs in Pflegeeinrichtungen
Zur Information: Sebastian Wirth ist Geschäftsführer der Diakonie vor Ort gGmbH, einem Träger von ambulanten Pflegeeinrichtungen im Oberbergischen Kreis und eine im Rhein-Sieg-Kreis. Er setzt sich in Gremien der Diakonie auf Landesebene z. B. als Vorsitzender des Evangelischen Fachverbandes ambulante Pflege und Hospizarbeit für NRW und auf Bundesebene im Vorstand des DEVAP für Verbesserungen in der Pflege, vor allem der häuslichen Versorgung, ein.